– Geschichte und Geschichten
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In seiner anlässlich der Eröffnung 1887 erschienenen Broschüre „Die Waldkuralpe Nervenheil“ preist Gollwitzer die bewaldete, vom frischen Wind bestrichene und durch Wanderwege erschlossene Landschaft westlich von Augsburg und fährt fort: |
"Der
Unterzeichnete entschloss sich daher, auf dem Hohen Lochfelde bei
Leitershofen eine moderne, einfachere Pension und Wirthschaft unter der
Firma „Waldkuralpe Nervenheil“ zu errichten. Dieselbe soll der
Mittelpunkt für einen kleinen Luft- und Terrainkurort...werden. ....... Unsere Pension ist vorderhand mit 20 Betten für einfache Ansprüche eingerichtet. Kein befrackter Kellner soll darin die ländliche Poesie stören. Die Waldkuralpe ist Sommer wie Winter geöffnet und gewährt besonders auch im Winter entsprechende Abwechslung, wie Eis- und Schlittensport, bei reducirtesten Preisen. Es wird möglichst darauf hingewirkt, dass auch Abends fröhliche Unterhaltung nicht mangelt. ...... Wir hoffen, dass viele im Kampfe ums Dasein abgemattete Streiter hier auf unserer staubfreien, luftigen und sonnigen Waldkuralpe neue Gesundheit, neue Kraft, frohen Muth und neue Lebensfreudigkeit erlangen, dass sie mit Freude an den Aufenthalt ... zurückdenken und öfter wiederkehren. Möge der Geist des Frohsinns, Zusammenwirkens und des Friedens dauernd in diesen Räumen weilen." |
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Der
Pfarrer von Leitershofen allerdings, Johann B. Schwarz v. Wallerstein,
(dort im Amt 1881-1889) der den Bau auf dem Hügel oberhalb der
Kirche misstrauisch beobachtet, notiert in seinen Unterlagen: "...was wird doch noch aus Leitershofen werden? Welches Kurdorf? Wie berühmt durch die Villencolonie Nervenheil? Vorläufig bleibt´s aber bei der bethürmten Restauration! Wir fürchten, dass es in religiöser und sittlicher Beziehung hierorts ... noch minder wird und zweifle stark an dem Gedeihen und Wachsen von Nervenheil." Und anlässlich der Eröffnung der Kuranstalt im Mai 1887 stellt er fest: "Die ersten Sonn- und Feiertage war eine ganze Völkerwanderung hinauf auf den sandigen, sonnigen u. windigen Berg. Das Bier per Liter kostete 30 Pfg.- sonstwo 24 Pfg. Die Preise für Atzung waren unverschämd hoch." |
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Teilweise
sollte Pfarrer Schwarz recht behalten. Es bleibt tatsächlich bei
der „bethürmten Restauration“. Der Badekurbetrieb hat nie die ihm
von Gollwitzer zugedachte Rolle gespielt. Doch bis weit in die Dreißiger Jahre hinein ist das „Nervenheil“ Ziel vieler Urlauber, die dort ihre „Sommerfrische“ verbringen. Einer der Gäste, der Augsburger Otto Siller (1879-1952) vermittelt uns in seinen Aufzeichnungen aus dem Jahre 1926 seine Eindrücke und die dort von ihm empfundene Stimmung und Atmosphäre: "Oben, auf weithinblickender Höhe, am Rande der Wertachebene gelegen, hat man einen wundervollen Blick in die Lande, hinauf bis zu den blauen Gebirgsketten im Süden und nordwärts bis jenseits der Donau zu den Höhen des schwäbischen Jura. Im Sommer sitzt man da heraußen und genießt den schönen Anblick, bis es allmählich anhebt dunkler und dunkler zu werden, bis Stern um Stern aufblitzt und eine weihevolle Stille über dem Dörfchen unten und dem ganzen Lande liegt und ungern scheidet man oft spät um 11 Uhr, 12 Uhr, um 1 Uhr, ja bisweilen noch später, von diesem Fleckchen und es ist auch schon vorgekommen, dass im Osten eine fahle Blässe den neuen Tag kündete, als man oben herabstieg." |
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Im Winter
ist vor allem für Rodler der in direkter Nachbarschaft gelegene
Hang eine Attraktion. Von Bertolt Brecht ist eine kurze Mitteilung aus
dem Jahr 1917 erhalten. Der damals 19jährige lädt damit einen
Freund zu einer nächtlichen Neujahrsfeier ein: "Reunion der Silvesterspukgestalten. Hast Du Punschessenz? Nötig: Trinkbecher. (Schlitten.) Holz (im Rucksack). Mundharmonika. -Humor. Zigaretten. Wasserstiefel. Gefühl für Romantik und Ulk. Ziel: Nervenheil. Rodelpartie im Sternenschein. Tee im Wald. Zweikämpfe mit Flurhütern. Also um sechs Uhr, Holdseligster!" |
Zwischen den beiden Weltkriegen ist das Nervenheil mit seinem Biergarten eine der beliebtesten Ausflugsgaststätten im Augsburger Raum. Eine hölzerne, über die Hangkante hinausführende Rampe dient als Aussichtsplattform. Jenseits der Wertach kommen die Türme Augsburgs ins Blickfeld. Bei entsprechender Witterung ist am südlichen Horizont die Kette der Alpen sichtbar, das Panorama erstreckt sich vom Watzmannmassiv bis zur Zugspitze. |
Schon 1917, nach dem Tode Gollwitzers, ist das Gebäude und die Grundstücksflächen in den Besitz der Stadt Augsburg übergegangen. 1941 wird der Spitzturm abgebrochen, angeblich wegen Baufälligkeit. Nach Kriegsende beschlagnahmen die Amerikaner das "Nervenheil" für eigene Zwecke und stellen sie Jahre später Flüchtlingen zur Verfügung. Dann, mit Einsetzen des „Wirtschaftswunders“ wird die Gaststätte immer weniger von Ausflüglern besucht. Das mit Straßenbahn und zu Fuß erreichbare „Nervenheil“ verliert wie manch andere Traditionsgaststätte im Raum Augsburg an Attraktivität. Jetzt locken entferntere Ziele ; das Auto macht es möglich, sie in kurzer Zeit zu erreichen. |
Im September 1959
beklagt die „Schwäbische Landeszeitung“ den Zustand des Baues und
das mangelnde Interesse der Stadt Augsburg, die dringend nötigen
Mittel für die Sanierung aufzubringen. (Presseberichte 1931-1962) "Das Schönste an der Gaststätte Nervenheil ist der geräumige, mit mächtigen, schattenspendenden Kastanien bepflanzte Biergarten. Hier ließe sich angenehm ruhen ... wenn nicht der Anblick der verwahrlosten Wirtschaft so trübe wäre. Offensichtlich schon seit Jahrzehnten wurde ... vom Hausherrn kein Handstrich mehr zu Verschönerung oder Erhaltung getan." Und drei Jahre später, in der Ausgabe vom 15.9.1962 kündigt das Blatt die Schließung des Lokals an und berichtet über Pläne, den Bau abzureißen. 1964 ist es dann so weit. 77 Jahre nach der Erbauung wird Gollwitzers "mit graziöser Keckheit in die Landschaft hineingestelltes Werk" abgerissen. Auf dem Gelände entsteht 1977 ein Fußballplatz. |